Meine erste größere Reise, die ich als junges Mädchen unternahm, werde ich nie vergessen. Mein Bruder lebte und arbeitete schon einige Zeit in Tauberbischofsheim. Er hatte sich inzwischen ein Motorrad angeschafft. Er kündigte uns einen Besuch an, denn er wollte meiner Mutter und uns Schwestern seine Freundin vorstellen. Sie kamen mit dem Motorrad. Ich sehe sie noch vor mir. Sie waren nass wie die Katzen, denn sie waren vom Regen überrascht worden. Sie blieben einige Tage und luden mich ein, sie in Tauberbischofsheim zu besuchen.
Ohne weiter zu überlegen - was ein großer Fehler war - trat ich also zum ersten Mal alleine diese längere Bahnreise an. Zum Glück konnte man damals noch den Koffer in Haltern am Bahnhof für wenig Geld aufgeben. Guten Mutes stieg ich in den Zug ein, der mich nach Köln brachte. Ich musste zum ersten Mal umsteigen. Auf so einem großen Bahnhof kam ich mir schon sehr verloren vor. Ich musste den D-Zug nach Frankfurt finden. Aber es klappte wider Erwarten gut, und so fuhr ich meine zweite Etappe am Rhein entlang.
In Frankfurt angekommen, suchte ich die Treppen. Wie kam ich auf den anderen Bahnsteig? Dann fiel mir ein, was mein Bruder mir gesagt hatte: Pass auf, in Frankfurt am Bahnhof sind keine Treppen. Du musst bis vorne laufen zu den anderen Bahnsteigen. So fand ich auch meinen Zug nach Würzburg. Dort kam ich am Abend um 22 Uhr an. In der Hoffnung, mein Bruder steht am Bahnsteig. Fehlanzeige! Ich lief herum und suchte ihn. Plötzlich hörte ich, wie mein Name über Lautsprecher ausgerufen wurde. Ich erschrak. Ich wurde zu einem bestimmten Schalter beordert. Dort sagte man mir, mein Bruder habe angerufen, er habe eine Panne und könne mich nicht abholen. Ich sollte auf ihn warten. Ich fühlte mich von aller Welt verlassen. Nachts im Dunkeln auf einem fremden Bahnhof, weit weg von zu Hause.
Ich wartete geduldig in der Halle, dann draußen vor dem Bahnhof. Bei jedem Motorengeräusch dachte ich, jetzt kommt er. So wurde es 6 Uhr morgens. Da wurde der Wartesaal geöffnet. Ich ging hinein und bestellte mir einen Kaffee. Da kam ein Mann, setzte sich zu mir an den Tisch. Er wollte wissen, woher ich käme und wohin ich wolle. Er bot sich an, mich mitzunehmen.
Das war mein erstes, großes Reiseerlebnis. Später hatte ich wesentlich schönere.
©Rosemarie Brathe